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Ahnenbotschaft: Dein Herz kennt die Antwort

Autorenbild: Ilka Sventja KüsterIlka Sventja Küster

Aktualisiert: 15. Dez. 2024

Ich sehe einen alten Mann, ich schätze mal über 70 Jahre alt, mit Schiebermütze und ich glaube es ist eine Tweet-Jacke. Er hat ein markantes Profil mit einer kräftigen Nase und als er seine Kappe kurz anhebt, um sich am Kopf zu kratzen, sehe ich darunter seine Glatze mit ein paar wenigen Haaren darum. Es scheint mir Europäer zu sein. Besser kann ich ihn nicht einordnen. Auch die Zeit, in der er gelebt hat, ist mir noch nicht klar. Er schaut nicht zu mir, er scheint in der Ferne etwas zu beobachten.


„Haben Sie eine Botschaft für den Wolfsmond für uns?“ frage ich.

Er schenkt mir nur einen ganz kurzen Blick, nicht länger als ein Blinzeln und dann sehe ich die Bank, die hinter ihm steht. Er setzt sich sehr langsam und stützt sich dabei auf einen Gehstock, den er bei sich hat. Ein ebenso kurzer Blick wie zu mir, geht auf den Platz neben ihm und ich vermute, es ist eine Einladung mich zu ihm zu setzen. Den Gehstock hat er zwischen seinen Beinen platziert und beide Hände liegen darauf. Sein Blick ist weiterhin in die Ferne gerichtet.


Als ich neben ihm sitze, kann ich seinem Blick folgen. Vor uns liegt ein großer Park, weit im Hintergrund ein herrschaftliches Gebäude. Aber das ist es nicht, wohin er schaut. Er schaut nach etwas weiter nach Links, wo scheinbar mehrere Reiter auf ihren Pferden über einen Platz reiten. Der Mann neben mir schweigt weiterhin und beobachtet das Geschehen auf dem Reitplatz.


„In welchem Jahrhundert sind wir?“ frage ich, um irgendwie ein Gespräch zu beginnen. „Im 19.“ lautet die Antwort, die einsilbige Antwort. Wir sitzen eine Weile schweigend und ich kaue innerlich auf Ideen rum, wie ich diesen Ahnen in ein Gespräch verwickeln kann. Er wäre nicht aufgetaucht, wenn er nicht eine Botschaft für uns hätte.


Und dann, ganz unvermittelt, lehnt er sich zurück, als hätte er genug gesehen legt seinen Linken Arm hinter mir auf die Lehne der Parkbank und sagt „Weißt du, mein Kind, ich wollte immer ein Weltklasse Reiter werden, denn ich war gut. Richtig gut. Dann kam der Krieg und ich musste als Soldat für mein Land kämpfen.“ Er nahm seinen Stock und klopfte von außen an sein rechtes Bein. Tock-tock. „Holz.“ sagte er. „Da war es vorbei mit dem Reiten.“ Er klang resigniert. Es muss viele Jahrzehnte her sein, dass er mit seinem Traum abgeschlossen hatte.


Wieder schauten wir hinüber zum Reitplatz und ich sah die Szene jetzt mit traurigen Augen. Wir schwiegen für eine Weile. „Weißt Du, ich bin heute dankbar dafür.“ „Für das Holzbein?“ fragte ich aus einem Impuls. „Hm. Vielleicht sogar für das. Aber ich meine ich bin dankbar, dass mein Traum vom Weltklasse Reiter geplatzt ist. Ich hätte ein ganz anderes Leben gelebt. Schau sie dir an…“ forderte er mich auf und wies mit seinem Stock in die Richtung des Reitplatzes. „Schau sie dir mit deinem Herzen an.“


Die Szene veränderte sich, ohne dass ich sagen konnte wie. Ich sah Disziplin, Ehrgeiz, Arroganz, Verbissenheit und Kontrolle. Und selbst die Freude, die nach einem gelungenen Sprung kurz zu erkennen war, war überschatten von Konkurrenzdenken.


Er wusste, dass ich gesehen hatte, was ich sehen sollte. „Ich habe das als junger Bursche nicht erkennen können. Ich habe so ein weiches Herz gehabt. So viel Liebe für die Pferde. Ich hätte nicht in diese Welt gepasst. Sicher hat der Krieg ein großes Opfer von mir gefordert, aber ich sehe auch das Geschenk. Ich hatte ein Leben, das nicht unter dem Leistungsdruck erstickte. Ich hatte ein Leben, voller Liebe.“

Ich bin wirklich sehr berührt von seinen Worten und schlucke die aufsteigenden Tränen hinunter.


„Meine Botschaft, wolltest du wissen, mein Kind. Nun, die ist einfach:

Wenn du dir ein Ziel für dein Leben aussuchst, dann betrachte es mit dem Herzen, nicht mit deinem Verstand. Schau genau hin. Betrachte es von allen Seiten, tauche in jeden Schatten, schaue hinter die Kulissen und lass dich nicht blenden vom schönen Schein. Und dann frage dein Herz, ob es damit glücklich wird. Denn dein Herz kennt die Antwort, nichts und niemand sonst.“


„Und was war es, dass dein Herz gewählt hat?“


„Mein Herz hat die Liebe einer ganz zauberhaften Krankenschwester gewählt.“ lachte er. „Mein Herz hatte keine ‚hohen Ziele‘, ich arbeitete für die Zeitung und brachte genug Geld nachhause, dass es unserer kleinen Familie immer gut ging. Und ich schrieb Artikel, in denen es immer einen kleinen Funken Freude für die Herzen der Leser gab. Das war es, was mein Herz wollte. Ich war sehr glücklich in diesem Leben.“


Jetzt kullert mir doch eine Träne über die Wange und er reicht mir sein Stofftaschentuch. Es riecht nach Lavendel und in die Ecke ist sein Monogramm gestickt. (empfangen zum Wolfsmond 2022)



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