Ahnenbotschaft: Die moderne Welt
Aktualisiert: 15. Dez. 2024

Heute zeigt sich mir ein Mann. Eine starke, imposante Erscheinung. Breite Schultern, ein ärmelloses Hemd aus hellbraunem Wildleder mit bunten Stickereien im Brustbereich und passende Hosen. Er steht barfuß auf dem festgestampften Erdboden. Sein dunkles, kräftiges, gewelltes Haar hat er zu einem Zopf nach hinten gebunden. Sein Gesichtsausdruck ist stark, aber dahinter fühle ich eine tiefe Müdigkeit. Wir sind in einer Lehmhütte. Er steht am Fenster, das eigentlich nur ein eckiges Loch in der Wand ist und schaut hinaus. Die Sonne scheint herein. In der Mitte der Hütte ist eine Feuerstelle, die an diesem morgen nur die Asche des Vortages enthält. Ansonsten ist die Hütte ziemlich geräumig, aber leer.
Er schaut aus dem Fenster und denkt nach. „Wo fange ich an?“ raunt er vor sich hin und wirft dabei einen fragenden Blick in den Himmel. Ich sitze erwartungsvoll im Schneidersitz auf dem Boden bei der Feuerstelle und schaue vielleicht ähnlich fragend zu ihm hinauf, wie er zum Himmel.
Er zieht aus einer Tasche eine Pfeife und beginnt sie zu stopfen. Dann zündet er sie an und raucht ein paar Züge. Noch immer sinniert er darüber, was er mir sagen will, das kann ich spüren. Oder besser gesagt, er wartet auf die Antwort auf seine Frage. Ich sage nichts. Ich warte mit ihm.
Aus irgendeinem Grund ist mir bewusst, dass ich hier nicht irgendwen treffe. Er ist ein Häuptling und ein Seher, auch wenn ich mir nicht so ganz sicher bin, wo wir uns hier befinden. Nord- oder Südamerika? Ich tendiere mehr zum Süden. Ich schaue mich nach Hinweisen um, doch finde keine.
Dann setzt er sich mir gegenüber. Er reicht mir seine Pfeife und ich bin sehr gerührt von dieser Geste. Damit hatte ich nicht gerechnet. Also nehme ich sie dankend an und wage einen vorsichtigen Zug. Ich hatte erwartet husten zu müssen, muss ich aber nicht. Der Rauch ist ganz sanft und ich atme entspannt ein und aus. Dann reiche ich die Pfeife zurück und bemerke, wie sich um mich herum die Hütte mit Leben füllt.
„Die Geister sagen, ich soll es dir zeigen, nicht erzählen.“ sagt er und deutet auf die Umgebung. In der Hütte hängen jetzt bunte Wandteppiche, Männer, Frauen und Kinder sitzen am Boden. Arbeitend, spielend, singend, erzählend, lachend. Über dem Feuer hängt ein großer Topf mit köstlich duftendem Inhalt. Tonschalen stapeln sich an der Seite. Ich vermute das Essen ist bald fertig.
Ich weiß nicht, ob uns hier irgendjemand wahrnimmt, aber ich fühle mich wohl unter diesen Menschen. Ich spüre ihre Gemeinschaft, ihr füreinander da sein, ihre Liebe und Akzeptanz füreinander.
Dann verändert sich die Szene. Die Hütte zerfällt ohne erkennbaren Grund. Und die Menschen sitzen noch immer beieinander. Das Gefühl in ihrer Gemeinschaft ändert sich kaum, auch wenn jetzt der Wind den Sand zwischen ihnen aufwirbelt und die Sonne unerbittlich auf ihre Häupter scheint. Sie sitzen dort weiterhin und gehen ihren Tätigkeiten nach. Und im Hintergrund erkenne ich eine Gruppe Männer, die wohl gerade an einer neuen Hütte baut.
Dann verändert sich die Szene wieder. Die Hütte ist wieder da und das Gefühl ist anders. Ganz anders. Ich kann erstmal den Grund dafür nicht ausmachen. Zwei Kinder beginnen zu streiten um ein kleines Spielzeug. Eine Frau hat Essen gemacht und versorgt nur ihre eigene Familie. Bei genauem Hinsehen, sehe ich, dass sich hier kleine Gruppen gebildet haben. Es gibt unsichtbare Grenzen innerhalb dieses Raumes. Fragen schaue ich zu meinem Gastgeber.
Er fordert mich nur mit einer Kopfbewegung auf, weiter hinzusehen und genauer zu beobachten. Etwas fällt um, und niemand stellt es wieder auf. Ein Kind tut sich weh und erntet nur abwesende Blicke. Dann setzt wie ein Zeitraffer ein. Die Menschen bewegen sich schnell, ein kommen und gehen, die Hütte wirkt immer verbrauchter, die Menschen werden immer weniger, die Gegenstände verschwinden mit den Menschen, dann ist sie leer.
Wir sind wieder zu zweit. Am toten Feuerplatz. Der Rauch der Pfeife zieht aus dem Fenster. Ich versuche zu verstehen.
„Was hast du gesehen?“ fragt mich der Häuptling und Seher. Ich habe Herzklopfen. Habe ich die Botschaft verstanden? Ich versuche es vorsichtig „Solange die Menschen zusammenhielten, war egal was um sie herum geschah. Aber als sie damit aufhörten, zerbrach alles.“
Ich grüble. Er wartet. „Warum haben sie damit aufgehört eine Gemeinschaft zu sein? Wo ist ihr Mitgefühl und ihre Liebe füreinander hin? Was ist passiert?“
Seine Antwort besteht nur aus einem Satz „Die moderne Welt ist passiert.“
Ich denke an Kolonialisierung und fühle mich irgendwie schuldig. Wir Europäer haben das so vielen Völkern angetan. „Es tut mir leid.“ sage ich leise und aus tiefstem Herzen.
Er sagt „Ich habe dir das nicht gezeigt, damit du Mitleid mit meinem Stamm hast oder dich entschuldigst,…“ er nimmt nochmals einen tiefen Zug aus der Pfeife und setzt seinen Satz dann fort
„…sondern damit du erkennst, dass es euch auch passiert ist.“
(empfangen zum Wonnemond 2022)
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