Ahnenbotschaft: Liebe haben wir immer
Aktualisiert: 15. Dez. 2024

Welcher Ahne oder welche Ahnin aus dem kollektiven Ahnenfeld möchte mir heute eine Botschaft überbringen?
Ein Junge zeigt sich am Waldesrand und winkt mich zu sich herüber. „Pst, ich zeig dir was“ flüstert er und vorsichtig, möglichst leise und unauffällig schleicht er durch den Wald. Ich folge ihm. Ich habe noch keine Vorstellung davon, wo er mich hinführt. Er ist vielleicht 12 oder 13 Jahre alt und trägt Hosen und Hemd in erdigen Farbtönen. Ich muss sehr gut aufpassen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Und schon habe ich ihn verloren.
Ich schaue mich suchend um. Dann höre ich wieder ein „Pst“ und da sehe ich ihn. Ich folge ihm weiter. An einer großen, stämmigen Eiche wartet er auf mich. Kein Weg führt hier her, nur wilder Wald. Er deutet zu einem ziemlich großen Astloch hinauf, dann schaut er sich nochmal um, um sicher zu gehen, nicht beobachtet zu werden – außer von mir natürlich – klettert flink ein paar Äste hinauf, greift in das Astloch und zeigt mir ein Einmachglas, das darin versteckt ist. Er legt es wieder zurück und kommt herunter.
Dann setzt er sich neben mich. „Seit die Vorräte knapp sind und es immer mehr Menschen gibt, die aus Hunger Essen bei anderen stehlen, verstecken wir einen Teil unserer Vorräte im Wald.“ erklärt er. „Dabei achten wir immer gut darauf, unsere Verstecke geheim zu halten. Wir gehen immer wieder einen anderen Weg, damit kein Trampelpfad entsteht und nie bei Nässe, weil dann leicht verfolgbare Spuren entstehen.“ Ich höre ihm zu und staune. „Wir haben mehrere Verstecke für verschiedene Lebensmittel und wir müssen immer schauen, dass wir alles gut verpacken, damit es die Tiere nicht fressen.“ Ich nicke. Das macht Sinn.
„Wir haben uns für besonders schlau gefunden. Wenn uns jemand im Wald antraf, sagten wir, wir suchen Pilze oder Früchte.“ Ich nickte weiter. „Das war doch wirklich clever“ sagte ich zu ihm und dachte, wie schlimm die Zeiten gewesen sein müssen, dass Familien zu solchen Mitteln griffen, um ihre Vorräte zu schützen und ihr Überleben zu sichern.
„Ja, clever war das… aber nicht BESONDERS clever. Irgendwann merkte ich, dass das viele Familien taten. Keiner sagte was und im Dorf sagten alle, dass sie nichts mehr hätten. Ich meine, gelogen war das nicht, wenn sie sagten ‚Unsere Speisekammer ist leer‘. War sie ja. Ich habe auch ein paar fremde Verstecke gefunden im Wald. Aber ich schwöre, ich habe nichts genommen.“ Er schaute mir forschend in die Augen, ob ich ihm wohl glaubte. Ich glaubte ihm.
„Warum erzählst du mir das?“ fragte ich.
„Die Zeiten waren schlimm und wurden nicht besser. Viele hungernde Menschen kamen durch unser Dorf und zogen genauso hungernd weiter. Ich lag manchmal selbst mit knurrendem Magen wach, weil es zu gefährlich war, zu unseren Vorräten zu gehen. Dann hatte ich ein schlechtes Gewissen. Weil wir alle Geheimnisse hatten und logen und niemandem halfen. Und ich malte mir aus, wie viele Vorräte da wohl im Wald lagen, die wir miteinander und mit anderen hätten teilen können. Stattdessen riskierten wir alle, dass die Tiere die Lebensmittel fraßen oder sie vielleicht einfach nicht mehr gefunden werden würden.“ Ich spürte seine Traurigkeit.
„Der Gedanke hat mich nie in meinem Leben losgelassen. Ich habe mich selbst als alter Mann noch gefragt, ob es uns nicht allen besser gegangen wäre, wenn wir uns wie eine echte Gemeinschaft verhalten hätten. Wenn wir alle ehrlich gewesen wären und alles was da war gerecht geteilt hätten im Dorf und einen kleinen Teil auch für die Menschen gegeben hätten, die kurz vorm Verhungern waren.“ Er schluckte.
„Alle waren in der Kirche und hörten wie der Pfarrer predigte, dass wir einander helfen sollen. Aber niemand half. Die Geheimnisse führten zu Misstrauen und wir waren kein Dorf mehr. Manchmal waren wir nicht mal mehr Familien. Wenn jemand wusste, wo etwas Essbares wuchs, so behielt er es für sich, sammelte es so bald er konnte und versteckte es. Ich dachte auch später manchmal, dass einiges von den Vorräten vielleicht auch einfach verdorben ist, weil Teilen bedeutet hätte, dass man gefragt wird, wo man es gefunden hat und dann musste man ja immer teilen oder andere kamen einem beim nächsten Mal zuvor.“
Er hatte sich ganz offensichtlich über die Jahre viel Gedanken gemacht über dieses Thema. „Du hast diese Zeit überlebt und irgendwann ging sicher auch die Not zu Ende…“ begann ich meine Frage und er fiel mir ins Wort „Ja, sicher. Aber ich glaube in mir drin, ging es nie zu Ende. Ich habe in meinem Leben dann immer alles mit jedem geteilt. Ich habe nie viel für mich gebraucht und behalten, ich habe immer gerne gegeben. Und sicher bin ich auch viel ausgenutzt worden. Denn die meisten hatten aus dieser Zeit das Gegenteil gelernt: Sag niemandem was du hast, behalte es für dich, sei dir selbst der nächste, nimm was du kriegst… Sowas in der Art.“ Ich nickte wieder.
Ein sehr nachdenklicher Junge und ein sehr nachdenklich machender Besuch in seiner Welt. „Welche Botschaft möchtest du mir für unsere Zeit mitgeben?“ fragte ich dann, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte.
„Ich wünsche mir, dass die Menschen in der Not zusammenhalten.“ sagte er. „Ich wünsche mir, dass jeder gibt, was er kann und dass alle zusammenhalten, selbst wenn sie kaum etwas haben.
Ich bin in meinem späteren Leben zu der Überzeugung gelangt, dass es im Leben nichts Wichtigeres gibt, als ein offenes und ehrliches Herz zu haben. Es geht nicht darum zu haben. Es geht darum zu geben. Und wenn es nur Liebe ist, weil man mehr nicht mehr hat. Liebe haben wir immer.“
Er stellte sich vor mich und breitete die Arme aus, bereit für eine innige Umarmung und ich nahm diese gerne an. Ich drückte ihn lange an mein Herz.
Ja, Liebe haben wir immer.
(empfangen zum Herbstmond 2022)
Ja, genau so empfinde ich diese aktuelle Zeit ebenso! Nachdem wir jetzt über Jahre willentlich zerspalten wurden als Gleichgesinnte oder auch Gemeinschaften, ist zumindest bei mir der innere Drang zurück zum "Miteinandern" extrem stark. Ich setze es einfach um, egal ob etwas zurück kommt. Den Ausgleich schafft das Leben selbst <3