Ahnenbotschaft: Wir verlieren mit der äußeren Vielfalt auch unsere innere Vielfalt
- Ilka Sventja Küster
- vor 4 Tagen
- 6 Min. Lesezeit
Welche Ahne oder welche Ahnin aus dem kollektiven Ahnenfeld möchte sich heute zeigen und uns eine Botschaft überbringen?

Ich sehe eine Frau mit einem langen Rock und Korb auf dem Rücken durch den Wald gehen. Ihre Schürze hat sie zu einer Art Beutel hochgebunden und auch an ihrem geflochtenen Korb, den sie auf dem Rücken trägt, baumeln unten zwei weitere Stoffbeutel. Die Ärmel ihrer langärmligen, einfachen Bluse hat sie hochgekrempelt und ein Kopftuch hält ihre Haare zusammen und aus dem Gesicht. Sie ist schon etwas älter, aber noch lange keine Greisin. Ihre Schritte durch den Wald sind kraftvoll trotz der sommerlichen Temperaturen.
Ich beobachte sie eine Weile aus der Ferne. In ihrem Korb sammelt sie Äste und Zweige, vermutlich zum Feuer machen. In ihre Schürze wandern Kräuter und zarte Beeren. Zum Teil wandern diese aber auch direkt in ihren Mund. Während sie so durch den Wald streift, höre ich sie leise singen.
Als ich mich ihr nähere, bemerke ich, dass ich viel mehr Lärm mache auf dem Weg durch den weglosen Wald, als sie es tut. Unter meinen Schritten brechen Zweige und ich trete insgesamt fester auf. Sie streift, trotz des schweren Gepäcks, eher wie ein Reh durch das Unterholz.
Dann schaut sie zu mir und deutet wortlos in Richtung einer kleinen Lichtung, sodass ich mich auf dem Weg zu ihr nicht durch die Brombeerranken kämpfen muss, die zwischen uns den ganzen Boden bedecken. Der Weg zur Lichtung ist einfacher und auch sie schlägt ihn ein.
Als wir die Lichtung betreten, kommt sie zu mir und begrüßt mich. „Schön, dass du da bist. Ich bin Sama. Lass uns dort hinüber zu dem Bach gehen. Ich habe Durst.“ Wir setzen uns neben einen fröhlich dahin plätschernden Bach ins Gras. Ihren Korb hat sie vom Rücken genommen und abgestellt. Aus einer der Stofftaschen holt sie einen Trinkbecher, schöpft Wasser aus dem Bach und trinkt. Dann reicht sie mir den Becher und ich tue das gleiche.
Das Wasser ist herrlich kühl. Als ich mich wieder Sama zuwende, hat sie ihre Schürze ausgebreitet und bietet mir ebenfalls Beeren und Kräuter zum Naschen an. "Sama ist ein ungewöhnlicher Name, oder?" frage ich. "Nein", lacht sie, "es ist eine Abkürzung. Ich heiße Sarah Maria, aber alle nennen mich nur Sama."
„Was ein idyllischer Ort“, sage ich und sehe mich um. Der Wald ist wunderschön. So viele verschiedene Bäume und Büsche und Gräser. Der Himmel ist strahlend blau und es ist bis auf das Murmeln des Bächleins mucksmäuschenstill. „Ich komme hier oft her, um Pause zu machen, wenn ich im Wald Holz sammle.“ sie lächelt.
„Lebst du hier in der Nähe?“ frage ich sie und sie nickt und deutet in eine Richtung. „Einen knappen halben Tagesmarsch in dieser Richtung.“ Ich staune, für mich klingt das viel zu weit, um Feuerholz zu sammeln. Die Frage scheint mir ins Gesicht geschrieben zu sein, weil sie plötzlich auflacht. „Oh, nein, ich sammle hier nicht mein alltägliches Feuerholz. Das sammle ich wirklich ganz in der Nähe meiner Hütte. Nein, hier sammle ich besondere Hölzer.“
Jetzt bin ich neugierig: „Besondere Hölzer? Aber auch Feuerholz oder machst du mit diesen Zweigen etwas anderes?“ „Ja, auch Feuerholz, aber nicht einfach um mein Herdfeuer zu entzünden, sondern um bestimmte Feuer zu bestimmten Zwecken zu machen.“ erklärt sie mir.
„Was wäre denn so ein bestimmter Zweck?“ frage ich nach. „Manchmal sind es einfach Feuer die heißer oder konstanter brennen sollen. Aber meistens geht es um Feuer, dass nur aus bestimmten Zweigen gemacht werden kann. Feuer, die mit einer zusätzlichen Absicht entzündet werden, als nur Wärme und Licht zu spenden.“ Ich nicke und frage nach einem Beispiel.
Sie greift nach ihrem Korb und holt drei unterschiedliche Zweige heraus. „Die drei hier, für die komme ich hier her“, sie hält einen Zweig hoch, „Das ist Eiche. Die wachsen zwar überall, aber diese hier ist die größte und älteste, die ich kenne.“ Dann hält sie einen anderen Zweig hoch. „Das ist Hexenulme, die ist seltener und…“ sie hält den letzten Zweig hoch „…das ist Wacholder, der wächst auch nicht näher bei mir.“ Ich höre ihr aufmerksam zu und bin sehr gespannt, was sie damit vorhat.
„Alle drei einzeln bringen schon Weisheit. Der Wacholder ist auch gut zum Reinigen des Hauses von bösen Geistern. Alle drei gemeinsam können Visionen schenken, wenn man in ihr Feuer schaut. Das wäre dann so eine bestimmte Absicht.“ erklärt sie mir.
„Ah, ich verstehe. Setzt das Feuer die Energie der Bäume frei?“ „Ja, genau“ sie nickt eifrig, scheinbar hatte sie Sorge, ich würde es nicht verstehen. „Und bestimmte Hölzer in Kombination haben dann nochmal weiterführende Wirkungen?“ frage ich. „Ja, genau, es gibt auch für Feuer so etwas wie Rezepte. Die nutze ich natürlich nicht immer, aber zu bestimmten Anlässen.“
„Zu welchen Anlässen benutzt du diese Feuerrezepte?“ frage ich weiter. „Zu Festtagen, zum Verstärken von Heilmitteln oder zur Unterstützung von Ritualen.“ „Wie verstärkst du denn die Heilmittel mit dem Feuer?“ will ich wissen. „Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn ich einen Tee oder Sud koche, dann kann ein speziell dafür ausgewähltes Feuerholz sehr unterstützend wirken. Wenn es nicht zum Kochen ist, dann kann ich die Heilmittel am Ende im Schein des Feuers segnen. Manchmal gebe ich in Salben aber auch die Asche aus einem bestimmten Feuer mit hinein.“
„Oh, wow, das ist ja wirklich vielfältig. Wie hast du das gelernt?“
„Ich hatte da sehr viel Glück. Meine Mutter war eine sehr begabte Kräuterfrau. Von ihr lernte ich alles, was ich zur Herstellung von Heilmitteln weiß. Meine Oma väterlicherseits aber, sie kannte sich mit Feuermagie aus. Nie im Leben hat sie auch nur ein Kraut zur Heilung verwendet, sie hat stets die Kraft des Feuers genutzt und sie ist sehr alt geworden. Viele Feuerrezepte habe ich von ihr. Nach und nach habe ich beides zusammengeführt und sehr kraftvolle Medizin damit hergestellt.“ Ich staune und bedanke mich. Ich hätte dazu noch so viele weiter Fragen. Aber ich entscheide mich für heute erstmal die Frage zu stellen, wegen der ich hier bin.
„Was ist deine Botschaft für die Menschen in meiner Zeit?“ Sie nickt und sammelt sich kurz.
„Ich möchte euch erinnern, wie wichtig es ist, dass es so viele verschiedene Pflanzen auf der Erde gibt. Du kennst jetzt meine Geschichte ein bisschen und ich bemerke schon im Lauf meines Lebens, dass es immer schwerer wird, die richtigen Zweige für meine Feuer und alle Kräuter für meine Heilmittel zu finden. Als Kind habe ich mit meiner Omama Holz gesammelt und wir mussten nicht so weit gehen, wie ich heute. Aber die Leute wollen einfaches Brennholz aus den Wäldern holen und bauen die üblichen Küchenkräuter an und so schwindet die Vielfalt in der Nähe von Dörfern und Städten. Ich habe im Feuer gesehen, dass das in der Zukunft noch schlimmer wird. Ich weiß nicht, ob es bei euch schon zu spät ist, aber ich dachte ich nutze die Gelegenheit und erzähle es euch.“
„Leider ist es richtig, was du im Feuer gesehen hast. Die Wälder bestehen zum großen Teil aus den immer gleichen Bäumen und auf den Felder werden die immer gleichen Pflanzen angebaut. Aber mit der wachsenden Bewusstheit, beginnt da gerade ein Umdenken. Noch lange nicht bei allen Menschen, aber bei einigen.“
„Die Menschen schränken sich damit selbst in ihren Möglichkeiten ein.“, fährt sie fort. „Sicher machen bestimmte Bäume ein gutes, warmes Feuer und die Kartoffeln, die jetzt überall auf den Äckern wachsen, machen uns satt, aber es gibt doch so viel mehr, was unser Leben ausmacht. Heilen ist die eine Sache. Aber die Feuer und Kräuter haben ja auch noch andere Wirkungen. Sie machen uns bewusst und sie verbinden uns mit den nicht-alltäglichen Welten und Wesen. All das verlieren wir. Wir verlieren mit der äußeren Vielfalt auch unsere innere Vielfalt. Das ist es, worum es mir eigentlich geht. Wir verlieren große Teile unseres Menschseins mit der Vielfalt unserer Umgebung.“ Sie schaut mich fragend an.
„Das habe ich so noch nicht betrachtet und du hast vollkommen Recht. Ich fürchte das ist es, was uns passiert ist und ich hoffe sehr, dass sich diese Entwicklung jetzt wieder wendet. Hin zu mehr Vielfalt und Lebendigkeit im außen und im innen.“ Sie nickt.
„Ja, Lebendigkeit! Das trifft es gut, genau die geht dabei verloren. Ich danke dir sehr, dass du mich besucht und mich angehört hast.“
„Und ich danke dir für deine Botschaft und für Teilen deines Wissens. Darf ich vielleicht nochmal wiederkommen und mehr über die Feuermagie erfahren?“ frage ich zum Abschluss.
„Oh, von Herzen gerne.“ sie strahlt übers ganze Gesicht. „Es gibt immer weniger, die sich für diese alte Kunst interessieren. Helfen und Heilen soll ich sie, aber lernen wollen sie nichts. Ja, komm gerne wieder.“ Als wir aufgestanden sind, helfe ich ihr noch, den Korb wieder aufzusetzen und wir umarmen uns zum Abschied. „Auf bald“ ruft sie mir noch zu und geht ihren langen Weg zurück nach Hause. Ich bin schneller zurück in unserer Zeit.
(empfangen zum Wonnemond 2025)
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