Ahnenbotschaft: Wir sind alle eins

Welcher Ahne oder welche Ahnin möchte mir heute eine Botschaft überbringen?
Ich befinde mich von jetzt auf gleich mitten in einem Ritual.
Es ist Nacht in einem Dorf dessen Hütten aus großen Blättern gebaut sind, soweit ich das im Schein der Feuer und Fackeln erkennen kann.
Menschen tanzen im Kreis. Sie tragen Masken aus Holz, die so groß sind, dass sie den ganzen Körper mit verdecken und aussehen wie die Kopffüßler, die kleine Kinder oft malen.
Die Gesichter auf den Masken sind unterschiedlich, doch die meisten wirken freundlich und weise. Sie sind rötlich im Farbton und die Masken tragen aus Blättern und Blüten auch unterschiedliche Frisuren. Von den Menschen darunter sind nur die nackten Beine und Füße sichtbar.
Die Tänzer hinter den Masken singen, rufen, pfeifen und sind wirklich laut. Irgendwo werden Trommeln geschlagen, die den Rhythmus vorgeben. Der Tanz geht immer wieder im Kreis und dann in Form einer Spirale in die Mitte und wieder raus und wieder im Kreis. Rundherum stehen weiter Menschen, Zuschauer, die sich mit denselben Farben, Blättern und Blüten geschmückt haben, aber ohne Masken.
Die Luft ist warm, nicht nur von den Feuern, der Boden sandig, der Himmel über mir sternenklar. Es duftet nach Essen und Feuer.
Ich schaue mich weiter um. Wer von den Anwesenden hat mich hierhergebracht?
Dann, mit einem lauten Schrei und kräftigem Trommelschlag, ist der Tanz plötzlich vorbei. Ein kurzer Moment Stille in der ich die Brandung von Wellen hören kann. Dann beginnen die umstehenden Menschen zu jubeln und die Tänzer zu feiern, die ihre großen Masken vor sich in den Sand stellen und ziemlich außer Atem darüber in die Runde schauen. Erschöpft und glücklich.
Und einer von ihnen erblickt mich und nickt mir zu. Er verlässt den Kreis der feiernden, stellt seine Maske an eine Hütte und kommt zu mir. Mit dem Kinn weist er mir einen Weg zwischen den Bäumen hindurch weg von all dem Trubel, bei dem man sein eigenes Wort nicht verstehen könnte. Nach einigen Schritten wird es leiser und man hört die Wellen deutlicher. Noch ein paar Schritte und wir stehen am Strand. Der Mond scheint relativ hell und wir setzen uns in den Sand.
"Danke, dass ich euren Tanz sehen durfte. Das war wunderschön." beginne ich unser Gespräch. Er nickt wieder. "Der Tanz erzählt die Geschichte, wie die Götter auf die Erde kamen und allen Dingen ihre Seelen brachten." erklärt er. "Magst du mir die Geschichte erzählen?" frage ich nach, weil ich Schöpfungsmythen sehr spannend finde.
"Die Ältesten sagen, dass vor langer Zeit die Götter auf die Erde kamen und sich verliebten in ihre Schönheit. Sie verbachten einige Zeit hier und als sie gehen mussten, wollten sie ein Geschenk dalassen. Die Götter überlegten sehr lange, was sie der Erde schenken könnten, was sie nicht längst schon hatte. Nach einiger Zeit kamen sie darauf, dass die Erde sich ihrer Schönheit gar nicht bewusst war, und so wollten sie ihr eine Seele schenken. Dann bemerkten sie, dass diese Seele aber sehr einsam sein würde, wenn sie die Erde wieder verließen, und das machte sie traurig. Also kamen sie auf die Idee jedem Ding eine Seele zu schenken, damit sie sich gegenseitig ihre Schönheit bezeugen könnten und alle glücklich sind. Und so geschah es."
Ich hatte noch nie eine so freundliche und durchweg positive Schöpfungsgeschichte gehört. Er lächelte mich an und in dem Moment wurde mir bewusst, dass er die Schönheit in mir sieht, so wie ich die Schönheit in ihm sehe und wenn das Mondlicht nicht so fahl gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich gesehen, dass ich rot werde.
"Und ist das noch immer so? Lebt ihr hier und seht die Schönheit der Erde in einander jeden Tag?" frage ich ihn. „Meistens“ nickt er, "aber es gibt auch Dinge, die nicht schön sind. Wenn jemand krank ist und Schmerzen hat, wenn sich Menschen streiten, wenn Gier und Neid aufkommen. Darin gibt es keine Schönheit. Aber sie erinnern uns daran, dass wir uns der Schönheit wieder zuwenden können und dass sie wertvoll ist und gehütet werden muss." Ich nicke.
Es ist wirklich verrückt, wie schön dieser Moment ist. Die ganze Zeit schon empfinde ich das Licht hier als so zauberhaft und als ich über das Meer zu Himmel hinausschaue, sehe ich den silbrigen Mond und einen Himmelskörper, den ich nicht kenne. Deutlich kleiner als der Mond und golden in seinem sanften Licht. "Was ist das neben dem Mond?" frage ich überrascht.
"Hulu, einer unserer Götter. Ihm zu Ehren feiern wir heute dieses Fest. Er kommt nicht oft hinter dem Mond hervor. Aber wenn er kommt, dann ist das ein Grund zur Freude. Dann wollen wir ihm zeigen, wie dankbar wir sind, für die Seelen und dass wir die Schönheit der Erde schätzen und ehren, so wie er es mit den anderen Göttern einst tat." Die Antwort macht aus seiner Welt total Sinn, nur in meiner Welt macht es immer noch keinen Sinn, dass ich diesen goldenen Himmelskörper neben dem Mond sehe.
Ich versuche mich wieder zu sammeln und frage nach der Botschaft. In mir ist plötzlich so viel Aufregung und mein ganzer Körper wird durchflutet von einer enorm starken Anziehungskraft zu diesem Ahnen. Es fühlt sich an, als ob diese intensiven Gefühle hier oder damals normal sind. Der Anblick von Hulu hat irgendetwas mit mir gemacht. Es scheint vieles nicht mehr wichtig. Mein Verstand zieht sich weiter und weiter zurück und ich fühle jede Zelle meines Körpers und es ist als ob ich sowieso eins bin mit allem, warum mich also nicht hingeben und einfach nur die Schönheit genießen. Die Schönheit der Erde, des Lebens, des Moments…
Er berührt meine Hand und mich durchfährt eine unglaublich starke Energie. Ich höre, dass er etwas sagt, aber ich verstehe ihn nicht. Seine Stimme ist plötzlich dunkler und ganz langsam und dann schließe ich meine Augen und fließe in den Sand. So fühlt es sich an. Ich fließe in den Sand. Tiefer und tiefer hinein in die Erde. Ich spüre, wie die Wellen mich streicheln und wie die Menschen und Tiere auf mir gehen, in mir graben. Ich spüre, wie der Regen mich tränkt und die Sonne mich wärmt, ich spüre Leben in mir und jede Bewegung löst in mir Ekstase aus. Wellen der Lust. Ich spüre Samen aufgehen und Wurzeln in mich wachsen, ich spüre, wie zarte Blätter meine Oberfläche durchbrechen und Pflanzen aus mir wachsen. Ich bin Erde. Ich bin unsere Erde. Oh mein Gott, ich möchte mich einfach nur hingeben und spüren wie Liebe und Lust durch mich fließen. Was ist hier los? Ich fühle so viel und es ist so wundervoll und ich heule plötzlich wie ein Schlosshund, weil ich das Gefühl habe, die Erinnerung geschenkt bekomme, dass sich Leben genauso anfühlen sollte.
(spätere Anmerkung: Diesen letzten Abschnitt habe ich sehr, sehr langsam und mit ganz vielen Pausen geschrieben. Ich habe das wirklich gefühlt und vieles von meinen Wahrnehmungen war nicht in Worte zu fassen. Ich bin selbst erstaunt, was hier geschehen ist, das war völlig anders als meine üblichen Ahnenbotschaften)
Langsam und nur mit viel Willenskraft komme ich wieder zu mir. Der Ahne sitzt neben mir und ich habe das Gefühl ihn anzustarren in dem mühsamen Versuch, ihn auch wieder hören und verstehen zu können. Dann dringt das erste Wort wieder zu mir durch. "…mich?" Oh Gott sei Dank, ich höre ihn wieder. "Hörst du mich?" fragt er nochmal und ich sehe, dass er ein wenig besorgt ist. "War ich ohnmächtig?" frage ich und wundere mich, dass ich nicht im Sand liege, sondern immer noch sitze. "Nicht körperlich ohnmächtig, aber du warst nicht mehr in deinem Körper, richtig? Ich habe das bei unseren Priestern schon gesehen, wenn sie ihren Körper verlassen. So hast du auch gewirkt. Hat Hulu dich zu sich gerufen?"
"Hulu? Nein, oder doch? Ich war die Erde und ich habe alles gefühlt, was auf der Erde passiert, was in mir wächst, was in mich fließt und aus mir heraus, und es war…" ich habe da eigentlich keine Worte dafür. "Hulu ist der Gott der Fruchtbarkeit und …" sagt der Ahne und mir wird schmerzlich bewusst, dass ich seinen Namen nicht kenne. Gefühlt habe ich mich gerade mit der ganzen Welt und auch mit ihm vereinigt in höchster Ekstase und ich kenne seinen Namen nicht. "Maru" höre ich es in mir, aus diesem Einheitsbewusstsein heraus, "Er heißt Maru".
"Maru," sage ich und lege meinen Finger auf meine Lippen, "es ist nicht wichtig. Ich habe alles gefühlt, es gibt nichts zu wissen." Er nickt. Dann hilft er mich aufzustehen und wir gehen zurück zum Fest. Ich blicke nochmal hinauf zu Hulu, doch er ist nicht mehr zu sehen.
"Was ist deine Botschaft, Maru? Was wolltest du mir sagen, damit ich es mit den anderen teile?" frage ich im letzten Moment noch. Und er sagt ganz schlicht "Wir sind alle eins". Dann bin ich zurück. Dankbar, bezaubert und verwundert.
(emfangen zum Wolfsmond 2025)
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